Ich bin kein Gutmensch.

Ich bin ein Mensch. Du bist ein Mensch. Jeder Flüchtling, der hier in Europa, in Deutschland, in Bielefeld Schutz sucht, ist ein Mensch. Egal, ob er Schutz vor Krieg, Verfolgung, Unterdrückung oder Hunger sucht. Unter Menschen hilft man einander, das ist der einzige Grund, der mich dazu veranlasste, eine Spendenaktion am Theater Bielefeld zu starten.
In den letzten Tagen wird in den Nachrichten so oft von der Pflicht der Europäer gesprochen, der Pflicht, den Flüchtlingen zu helfen. Der Begriff »Pflicht« ist für mich immer mit einem schalen Beigeschmack verbunden. Pflichten sind meist Dinge, die man nicht freiwillig tut – den Müll rausbringen, Hausaufgaben machen, den Hausflur fegen.
Ist also Flüchtlingen zu helfen eine Pflicht? In meinen Augen nicht. Es ist ein Privileg. Wir sind in der Lage zu helfen, weil es uns wirtschaftlich gut geht, weil wir in einem friedlichen Land leben, weil wir frei sind (zumindest freier als der überwiegende Teil der Menschheit). Und es ist doch vielmehr eine Freude zu helfen!

Neben diesen grundsätzlichen Ansichten bewegte mich auch ein konkretes Erlebnis zur Hilfe: Vor ungefähr einem Monat fuhr ich mit meinem Freund aus dem Urlaub in Italien mit dem Zug zurück nach Bielefeld. Mit uns im Zug saß eine große Gruppe Flüchtlinge, unter anderem aus Eritrea und Syrien. Während mein Freund und ich einen spannenden und erholsamen Urlaub hinter uns hatten und der einzige Gedanke, der unsere Stirn runzelte, der an den nahenden Beginn der Arbeit war, lagen hinter diesen Menschen, die zwischen 16 und 35 Jahren alt waren, traumatische Erlebnisse in ihrer Heimat und eine große Angst vor der Zukunft. Diese jungen Menschen sollten sich Gedanken machen dürfen über die Wahl des richtigen Studienplatzes, der richtigen Ausbildung, die Liebe ihres Lebens und ihre Familienplanung. Stattdessen sorgen sie sich, ob ihre Geschwister, Eltern, Familie und Freunde die nächsten Monate und Jahre überleben, sei es in der Gefahr ihres Heimatlandes oder auf dem oft nicht minder gefährlichen Weg nach Europa. Ihre Gesichter waren geprägt von Angst, Verunsicherung und Erschöpfung.

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Diese Begegnung entzündete die Idee, das große Potential des Theaters Bielefeld, nämlich seine 350 Mitarbeiter zu nutzen, um ein ordentliches Willkommensgeschenk für die Geflüchteten zusammenzustellen. Denn vielerorts waren und sind wir nicht richtig vorbereitet auf die Ankunft der vielen Hilfesuchenden. Und vielleicht ließe sich die Arbeit der Hilfsorganisationen vereinfachen, wenn wir am Haus schon etwas Vorarbeit leisteten?
Mit kurzem organisatorischen Vorlauf richtete ich also auf einer unserer Probebühnen eine Sachspendensammelstelle ein, organisierte freiwillige Helfer, die in ihrer Freizeit die Annahme der Spenden betreuen konnten (schließlich sollte nur Guterhaltenes angenommen werden), und lud alle Mitarbeiter ein, an drei Tagen ihre Spenden bei uns abzugeben.
Um die Arbeit bei den Annahmestellen beim ASB (zuständig für die Erstaufnahmestellen) und der GAB (zuständig für Flüchtlinge, die in Bielefeld ihren Asylantrag abwarten) so gering wie möglich zu halten, erkundigte ich mich vorher bei den entsprechenden Ansprechpartnern nach dem genauen Bedarf. So konnten wir den Spendern direkt sagen, was wirklich gebraucht wird und verhindern, dass die wunderbaren ehrenamtlichen Helfer und Mitarbeiter bei ASB und GAB in unnützen Spenden ersticken. Ein einfaches Sortiersystem ermöglichte außerdem das Vorsortieren für die Annahmestellen und half uns, den Überblick zu bewahren.

Um es kurz zu sagen: Das Engagement und die Freigebigkeit haben mich überwältigt! In 2 ½  Tagen sind rund 200 große blaue Säcke und 100 Umzugskartons mit Kleidung, Spielzeug usw. sowie einiges an Kleinmöbeln zusammengekommen. Als wir gestern schließlich alles verladen hatten, waren ein 7,5 Tonnen LKW und ein Ford Transit gut gefüllt. Ich bin wirklich beeindruckt, wie schnell, einfach und unkompliziert es ist, eine Hilfsaktion zu organisieren, die so eine große Resonanz findet und so viel Engagement und Einsatzbereitschaft freisetzt.

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Bei aller Begeisterung über den Erfolg der Aktion gab es aber auch ein paar nachdenkliche Momente, wenn mir beim Zusammenlegen einer Kinderhose plötzlich bewusst wurde, was der kleine Mensch schon hinter sich hat, wenn er in einer Bielefelder Erstaufnahmestelle von seiner Mutter oder seinem Vater diese Hose bekommt. Man wünscht sich von Herzen, dass diese Menschen all die Schmerzen und Schrecken irgendwann hinter sich lassen können und wieder Mut und Kraft finden, ein normales und glückliches Leben zu führen, hier oder in ihrer Heimat, ganz so wie sie es wollen.

Man wünscht sich, man könnte mit Nächstenliebe und Menschlichkeit die Dinge vergessen machen, die diesen Menschen widerfahren sind, und weiß doch, es ist unmöglich. Zum einen, weil diese Erfahrungen so gravierend sind, dass ein Mensch sie schlichtweg nicht vergessen kann, und zum anderen, weil es leider auch im momentan sehr hilfsbereiten Deutschland immer noch viel zu viele unaufgeklärte Menschen gibt. Oder Menschen, die sich aus Angst um ihre Bequemlichkeit, aus Ignoranz und Egoismus  hinter dem Begriff des »besorgten Bürgers« verstecken.

Aber diese Aktion im Theater Bielefeld hat mir gezeigt, dass ich Hoffnung haben kann. An unserem Haus sind viele Nationen und Religionen vereint und alle arbeiten gemeinsam an derselben Sache. Und nun haben ALLE mitgeholfen, als es um den Spendenaufruf ging. Da war kein Unterschied zwischen Männern und Frauen, Alten und Jungen oder Religionen.

Jeder kann nach seinen Möglichkeiten etwas beitragen. Und im Endeffekt ist es auch vollkommen egal, aus welchem Grund wir uns für einander engagieren, ob Mitleid, Pflicht oder Menschlichkeit. Hauptsache wir tun etwas.

Wollt Ihr auch helfen? Die Einrichtungen werden in den weiteren Wochen und Monaten tatkräftige Unterstützung brauchen, aber Hilfe muss organisiert laufen. Meldet Euch unbedingt bei den Institutionen, bevor Ihr Spenden sammelt und fragt, was konkret wann benötigt wird. Sowohl freiwillige Helfer als auch Geldspenden werden dringend benötigt. Informationen zu den benötigten Sach- und Geldspenden findet Ihr bei der ASB-Geflüchtetenhilfe Oldentruper Hof. Eine weitere hilfreiche Seite, die Informationen zum Thema vereint, ist von der privaten Initiative Geflüchtete Willkommen in Bielefeld. Dort findet Ihr Adressen und Ansprechpartner zum Beispiel der Stiftung Solidarität Bielefeld, Bielefeld integriert usw. auf einen Blick. Das Bündnis gegen rechts – Bielefeld stellt sich quer weist zudem auf eine Veranstaltungsreihe zur Flüchtlingshilfe für Ehrenamtliche und solche, die es werden wollen, hin (organisiert durch: Erwachsenenbildung und Sozialpfarramt im Evangelischen Kirchenkreis Bielefeld, Netzwerk Bielefeld zum Schutz von Flüchtlingen;  in Kooperation mit: AWO Freiwilligenakademie OWL, Freiwilligenagentur Bielefeld e. V., Kommunales Integrationszentrum und Sozialamt der Stadt Bielefeld).

WIR SIND VIELE!

3 Kommentare:

  1. Hallo!

    Ich möchte auf einen kleinen inhaltlichen Fehler in diesem Text aufmerksam machen. Die Veranstaltungsreihe zur Flüchtlingshilfe wird nicht vom Bielefelder „Bündnis gegen Rechts“ organisiert, sondern von folgenden Organisationen:

    Erwachsenenbildung und Sozialpfarramt im Evangelischen Kirchenkreis Bielefeld;
    Ökumenisches Netzwerk Bielefeld zum Schutz von Flüchtlingen;

    In Kooperation mit:

    AWO Freiwilligenakademie OWL;
    Freiwilligenagentur Bielefeld e. V.;
    Kommunales Integrationszentrum und Sozialamt der Stadt Bielefeld

    Viele Grüße und vielen Dank für eure tolle Arbeit!

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