Theatertreffen der Jugend 2016

Wie fühlt es sich an, wenn 160 theaterbegeisterte junge Menschen acht Tage lang zusammen kommen, um Theater zu machen, sich mit Theater zu beschäftigen, Theater zu hinterfragen, Theater neu kennenzulernen und durch Theater neue Freundschaften zu schließen?

Das Theatertreffen der Jugend, das vom 3. bis zum 11. Juni dieses Jahr zum 37. Mal im Haus der Berliner Festspiele stattfand, ist ein Mikrokosmos, eine eigene kleine utopische Theaterwelt, die innerhalb kürzester Zeit erschaffen wird und alle TeilnehmerInnen nachhaltig in ihren Bann zieht. Auch heute noch, Wochen danach, fällt es mir schwer, die Stimmung und die Erlebnisse prägnant zusammen zu fassen. Zu ereignisreich und außergewöhnlich waren diese acht Tage. Man hat tatsächlich das Gefühl, Teil einer Reise gewesen zu sein, bei der die Reiseberichte sowieso niemand, der nicht dabei war, nachvollziehen kann. Trotzdem versuche ich, ein paar Eindrücke zu schildern.

Das Ensemble Parallele Welten III wurde mit dem Stück Ehrlos zusammen mit sieben weiteren Inszenierungen von über 100 Einsendungen aus ganz Deutschland ausgewählt und nach Berlin eingeladen. Ich durfte die Gruppe als Freundin und Betreuerin sowie als selbsternannter Motivationscoach-Groupie begleiten und von dieser einmaligen Theatertreffen-der-Jugend-Luft schnuppern – eine großartige Erfahrung.

Direkt von der ersten Minute an war da diese besondere Stimmung:

Ca. 200 Theatermenschen (inkl. Juroren, Ehemalige und externe Teilnehmer) kommen für dieses Festival zusammen, um acht Tage lang die Lust am Theatermachen zu feiern und Theater aus neuen Perspektiven kennenzulernen. Die multikulturellen Gruppen kommen aus Berlin, Schwerin, Bremen, Frankfurt, Leipzig, Aachen und Bielefeld, mit TeilnehmerInnen im Alter von 12 bis 74 Jahren (Parallele Welten III erhöhte als einzige intergenerativen Gruppe den Alterstdurchschnitt und regte zum Nachdenken über eine völlig neue Definition von Jugendlichkeit an). Und sie haben eins gemeinsam: sie wollen sich mitteilen, der eigenen Stimme Ausdruck verleihen. Für mich als erwachsene Begleiterin ist es erst recht eine neue Perspektive, aus der sich mir Theater offenbart, nämlich aus der Perspektive der Jugendlichen von heute.

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Besonders schön zu sehen ist, wie schnell und offenherzig die Jugendlichen von der ersten Minute an zueinander finden. Innerhalb kürzester Zeit kann man beobachten wie Freundschaften entstehen, Konflikte aufkommen, ausgehandelt und wieder gelöst werden, wie zusammen gehalten wird und man sich gegenseitig ernst nimmt.

Auf der Bühne verhandelt werden im Laufe der Woche sowohl große Themen wie Widerstand, Ausgrenzung, Gleichberechtigung, Terror und Krieg, als auch persönliche Identitätsfragen. »Wer bin ich? Wer will ich sein? Wie bin ich geworden, wie ich bin? Wer sind die anderen? Was macht die anderen zu anderen?« sind Fragen, die die Spielenden sich und dem Publikum stellen und damit ihr Selbst- und Weltbild vor den Augen der Zuschauer zeichnen und verwerfen. Bemerkenswert ist der politische Gestus in allen Stücken, mit dem die Jugendlichen den Wunsch nach politischer Teilhabe und den Wunsch danach, mit ihrer jungen Meinung ernst genommen zu werden, verlautbaren.

Unzählige Bilder, die mich erstarren lassen, mich zu Tränen rühren oder mich Tränen lachen lassen, bringen mir den Gefühlszustand einer Generation so nah, wie es Theater nur selten schafft. Ich sehe dort auf der Bühne Antworten auf die Frage, was die Jugendlichen heute bewegt und bekomme im gleichen Moment Fragen gestellt, auf die ich keine Antworten habe. Aber ich glaube, gerade dieses öffentliche Fragenstellen, der direkte Dialog und das gemeinsame Verhandeln von Themen, die uns alle betreffen, tun in gesellschafts-politischen Umbruchsphasen wie der momentanen mehr als gut. Die Suchbewegungen der jungen Menschen, die ich auf der Bühne beobachten darf, veranlassen mich dazu, mich selbst und die sogenannte Vernunft der Erwachsenen zu hinterfragen.

Nicht selten werde ich wehmütig bei der Erinnerung an diese einmalige GruppeFotoboxLebensphase an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Und ich werde das Gefühl nicht los, die Welt könnte eine bessere sein, wenn wir auf dem Weg zum Erwachsensein dieses jugendliche Gemeinschaftsgefühl, die bedingungslose Freundschaft, den Mut zur Fehlbarkeit und die vernunftlose Ehrlichkeit, die ich auf der Bühne erlebe, nicht verlieren würden. Allein für diesen Gedanken, so utopisch er auch sei, hat sich der Besuch des Theatertreffens der Jugend gelohnt und ich bin sehr dankbar, Teil dieser bunten und energiegeladenen acht Tage gewesen zu sein.

 

Von Tabea Mewes