»Knoten entknoten« oder »Verfranzt euch!«

Ein Versuch über den Tanz
Setting: Ort Homeoffice // Playlist Danski // Getränk Grüner Tee

Etwas, das ohne Worte auskommt und primär visuell darstellend funktioniert – manchmal dazu noch auditiv, aber diese unfassbar modernen Zeitgenossen des Tanzes theoretisieren ja sogar die Musik weg –, so etwas nun in Worte zu übersetzen, uff.
Da mag der eine oder die andere einwenden, dass man sich als Tanzdramaturgin an die »Übersetzung« doch gewöhnt haben sollte. Doch ehrlich gesagt, so ganz passierte das nie.

Der zeitgenössische Tanz, als Tanzströmung und nicht als Bezeichnung für alles Gegenwärtige, funktioniert häufig ohne Libretto und ohne Figurenzuschreibung. Es liegt noch nicht einmal jeder Inszenierung überhaupt ein Text zu Grunde und falls doch, dann muss dieser nicht zwingend eins zu eins in Bewegung umgesetzt worden sein. Dies gilt auch für die Arbeit des israelischen Choreografen Sharon Fridman, welcher gerade am Theater Bielefeld die Tanzinszenierung Stable entwickelt. Stable kann man bei »zeitgenössischer Tanz« recht getrost einreihen. Somit kann ich auch an dieser Stelle kein knackiges Zitat aus einem Dramentext bringen und keinen Plot in 140 Zeichen twittern. Hin und wieder hat man es aber gerne so kompakt (# 1 Satz 1 Buch) und auf den Punkt gebracht, vermutlich auch beim Tanz. Doch es gibt (noch) keine »Chilliy Gonzales Masterclass für Performance« oder »Sommers Welt des Tanzes to go«.

Also lasst uns doch zunächst mit dem Bild beginnen, dem bewegten, das sei doch ohnehin viel aussagestärker als 1000 Worte und dem Tanz etwas näher.

Meine Vorbereitung auf die Arbeit mit Sharon Fridman begann zunächst ohne ihn, im World Wide Web mit nämlich diesem Video, und ich wusste zu diesem Zeitpunkt schon, dass Sharon sein Duett Hasta Donde? mit dem Ensemble zu einer Gruppenperformance ausweiten wollte. Mich begeisterte die Idee, der Vergänglichkeit des Theaters entgegenzuwirken und ein Stück weiterzuentwickeln. Und es kristallisierte sich in den vergangenen Probenwochen immer mehr heraus, dass Sharon Fridman vieles aufeinander aufbaut, neben seinen Arbeiten auch die arbeitenden Menschen.

Klickt man sich durch seine Website und die bisherigen Choreografien, so erkennt man – auch ohne (!) tanzgeschultes Auge – Bewegungen wieder, sieht sie zitiert und weiterentwickelt. Er stellt damit Fragen an ein fertiges Werk, knüpft an und webt weiter. Dies vermittelte mir ein angenehmes Gefühl von »verstehen« einer choreografischen Sprache.

Die Menschen im Tanzstudio, acht TänzerInnen des Ensembles von TANZ Bielefeld, bauen sich ebenso auf, zu einem menschlichen Geflecht. Sie ver- und entknoten sich. Es erinnert eher an Versuchsanordnungen wie im Chemieunterricht, nur statt mit Bunsenbrenner, Dreifuß und Petrischale, mit Individuen. Sie demonstrieren beispielsweise das Scheitern und Gelingen, ganz konkret durch Fallen und Stehen. Bei Probenbesuchen entdecke ich in Sharon Fridmans Arbeit ein Laboratorium des Menschen, und Mensch in seiner freiesten Form, ohne Zuschreibungen von Charakter, Geschlecht oder unter der Herrschaft eines Geschichtsstrangs. Es ist kein Handlungstanz, liebe Freunde des klassischen Balletts, sondern lässt viel mehr Möglichkeiten zu. Aber warum verunsichert uns die Freiheit des Tanzes oft so sehr? Warum nennen wir es abstrakt anstatt offen? Ich bin neugierig auf die Freiheit des Stückes.

Assoziationskette 1 Stable ist für mich … Alexander Calder und seine MobilesCalders Kuh … U-Bahn fahren in der Großstadt, zwischen Konformität und Drang nach Individualität …

Vielleicht ist Tanz doch ein wenig wie Beuys. Etwas Kontext kann hilfreich sein. Aber wichtiger noch ist die Neugier beim Betrachten. Deswegen möchte ich Stable noch etwas mehr kontextualisieren und neugierig machen.
Denn Sharon arbeitet für die Inszenierung mit einem famosen Musiker. Idan Shimonis elektronische Musik holt nicht nur Fans von Herrn Frahm und Herrn Kohlstedt ab, sondern auch Zuschauer im Tanzstudio und Dramaturginnen im Homeoffice. In der Konstellation Danski, aber auch Solo, komponiert er mit Synthesizer und Piano.

Assoziationskette 2 gegen Schwammigkeit … musikalisch bei Fall (live) angelangt … Fischli/Weiss´ Stiller Nachmittag ist ebenso fragil wie Calders Mobile, wie Szenen in Stable …
Stable auf Papier:

Aus dem Tanzstudio, Grafik entstand während des Probenprozesses für Stable.
Aus dem Tanzstudio, Grafik entstand während des Probenprozesses für Stable.

Stable ist ebenso für mich Zero 7 Distractions …

…ist Deleuzes Differenz und Wiederholung

… ist für mich die Suche nach der Insel mit der Palme …

… ist eine bewegte Herde.

Foto: A. Bonarius / pixelio.de
Foto: A. Bonarius / pixelio.de

Und bevor es nun doch noch zu einem befürchteten, erschöpfenden Plädoyer der Dramaturgin für die eigene Sparte oder gar einer Kulturgeschichte der Tanzbeschreibung wird, schließe ich die Soundcloud und gieße noch einen Tee auf.

»Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen«? (Wittgenstein Tractatus)