»Silence is dangerous. Don’t kill Othello.«

At Your Doorstep / Vor deiner Tür und die Rolle afrikanischer Menschen in der Oper | von Jeanne-Cadi Sissé

July Zuma in »At Your Doorstep / Vor deiner Tür«

»One world.« So das Motto der Protagonist*innen der deutsch-südafrikanischen Kammeroper At Your Doorstep / Vor deiner Tür, die am 29.03.23 in der Rudolf-Oetker-Halle Premiere feierte. Entstanden ist das Projekt als Kooperation zwischen dem Stadttheater Bielefeld und dem Market Theatre Johannesburg, vertreten durch Künstler*innen auf beiden Kontinenten. Die Aufführungen finden jeweils simultan statt und werden durch eine anschließende Videokonferenz zusammen mit dem Publikum in Johannesburg aufgearbeitet. Das Thema der »einen Welt«, die uns verbindet, äußert sich nicht nur durch die Präsenz des Internets in der Beziehung der beiden Protagonist*innen, die ihren Kontakt ausschließlich über Chats und Videoanrufe ausbauen. Ganz klassisch verbindet uns natürlich auch die Musik und der Gesang – die Arien, die die Charaktere für und miteinander singen. Hervor kommen globale Themen, Sorgen und Wünsche, die uns alle betreffen. Doch gerade das Format der Oper spiegelte dieses elementare Zusammensein nicht immer wieder.

In der Nachbesprechung wird bezüglich der Thematik des Stücks die Frage gestellt: »Warum Oper?« Die Antwort der Sänger*innen: »Warum nicht?« Die Wahl der Form einer Oper mag für den ein oder anderen im kulturellen Kontext der Handlung ungewohnt sein. Denn tatsächlich handelt es sich bei der Oper um eine Kunstform, die Schwarze und afrikanische Menschen lange ausgeschlossen oder objektifiziert hat. Historisch gesehen galten Schwarze Menschen in der europäischen Oper eher als Dekoelement oder Ausstellungsstück, und wurden somit nicht als Subjekt, sondern als Objekt der Unterhaltung wahrgenommen. Indirekt bezieht At Your Doorstep / Vor deiner Tür hierzu Stellung, in einer Arie, in der der männliche Protagonist aus Südafrika beklagt, wie europäische Touristen in Afrika Einheimische als Unterhaltungsprogramm wahrnehmen. Er stellt klar, er ist kein Zootier. Doch reproduzieren zahlreiche auch heute noch beliebte Opern rassistisches Gedankengut, so zum Beispiel die Figur Monostatos aus Mozarts Zauberflöte. In seiner Arie beklagt der Sklave, als Schwarzer nicht schön genug für die weiße Pamina zu sein. Während manch einer dies als Einfühlung des Librettisten in die Perspektive eines Schwarzen interpretiert, stellt sich mir die Frage, inwiefern bei der Inszenierung dieser Oper wohl Schwarze Darsteller*innen, sowie ein Schwarzes Publikum in Betracht gezogen werden. Ob nun durch Texte wie »Und ich soll die Liebe meiden/weil ein Schwarzer hässlich ist«, oder durch die stetige Kennzeichnung von schwarzen Charakteren als Außenseiter und exotische Objekte, die mutmaßlichen Lebensrealitäten Schwarzer Menschen werden in der Oper überwiegend aus der Perspektive einer einseitig weißen Mehrheitsgesellschaft gespiegelt.

Eine Besonderheit unter all diesen Stücken stellt womöglich Verdis Otello dar, basierend auf dem gleichnamigen Theaterstück von William Shakespeare. Die Titelfigur dieser Oper wird in At Your Doorstep / Vor deiner Tür sogar namentlich erwähnt, und aus gutem Grund. Otello bietet einen Gegensatz zu den ansonsten oberflächlichen oder stereotypischen Schwarzen Charakteren, die die Oper in der Regel projiziert. Otello ist nicht nur der Held und Protagonist seiner Geschichte, sein Charakter besitzt außerdem eine Komplexität und Vielschichtigkeit, die Schwarzen Figuren sonst verweigert wird. Das soll nicht heißen, dass Verdis Oper frei von rassistischen Haltungen ist. Jedoch wird der Rassismus im Kern der Geschichte als solcher erfasst und stellt eine handlungstreibende Kraft für alle Charaktere dar, wenn allein dadurch, dass Otello sowohl in der Oper als auch im Theaterstück deutlich als Fremder und somit als Außenseiter gekennzeichnet, und auch dementsprechend behandelt wird.

Betrachtet man den historischen Kontext, führte dies natürlich zu Komplikationen bei der Inszenierung der Geschichte. Sowohl das Theaterstück als auch die Oper wurden in Zeiten geschaffen, in denen es praktisch unvorstellbar gewesen wäre, eine Schwarze Person für die Rolle des Otello zu besetzen. Im Zuge des Kolonialismus und der Sklaverei war es für ein europäisches Publikum schwierig, eine Schwarze Figur in so geringer sozialer Distanz zu ihrem Adelsstand zu sehen. Überhaupt wurden Schwarze Menschen mit der Zeit immer weniger als Menschen angesehen, die potentiell Teil der europäischen Gesellschaft sein könnten. Somit gab es für Schwarze Schauspieler*innen und Sänger*innen jahrhundertelang keinen Zugang zu jeglichen Produktionen. Otello wurde stattdessen mit weißen Künstlern besetzt, und die Tradition des Blackfacing, d.h. der schwarzen Gesichtsbemalung, richtete sich als theatralische Norm ein. Doch gerade vor dem Hintergrund der Minstrel Shows des 19. Jahrhunderts in den USA, in denen sich über Schwarze Menschen lustig gemacht wurde, ist Blackfacing für viele keine Option. Damals, weil Otello als Held seiner Oper keine Witzfigur sein konnte, und heute, weil Blackfacing nach langer Tradition nun endlich als hochrassistisch angesehen wird. Naheliegend (damals wie heute) ist es dann natürlich, Otello einfach in eine weiße Figur umzuwandeln. Jedoch fehlt es Otello dadurch nicht nur an Gewicht und Nachvollziehbarkeit, ist der Rassismus doch so ein zentraler Punkt im Kern seiner Handlung. Die Entscheidung Otello mit einem weißen Sänger zu besetzen verbaut außerdem Schwarzen Opernsängern die Chance auf Repräsentation.

At Your Doorstep / Vor deiner Tür bietet eine erfrischende Gegenbewegung zu den Trends der letzten Jahrhunderte. Denn im Gegensatz zu der Zauberflöte und Otello, beinhaltet At Your Doorstep / Vor deiner Tür selbsterzählte Lebensrealitäten. Wiederkehrende Motive Schwarzer Figuren der Vergangenheit, wie zum Beispiel die Frage ob ein Schwarzer keine Liebe verdient, werden aufgegriffen und subvertiert. Als die Beziehung der beiden Protagonist*innen in At Your Doorstep / Vor deiner Tür auf der Kippe steht, stellt der südafrikanische Protagonist zwar auch die Frage, ob es daran liege, dass er schwarz ist, jedoch sucht er den Fehler nicht bei sich selbst. At Your Doorstep / Vor deiner Tür spricht seinen Schwarzen Charakteren Stolz und Selbstbewusstsein zu, was ihnen in vergangenen Opern verwehrt wurde. Dazu kommt die Erwähnung von Otello, mit dem sich der männliche Protagonist in einen direkten Vergleich setzt. Im Chat schreibt er die Worte: »Silence is dangerous. Don’t kill Othello.« Allein diesen zwei Sätzen kann man als Zuschauer die Haltung dieser Oper entnehmen. Bring Otello nicht um: Nimm mir nicht meine Komplexität. Mach keinen Witz aus mir. Die Stille ist gefährlich: Bring mich nicht zum Schweigen. Schließ mich nicht aus. Lass uns weiterreden.

In At Your Doorstep / Vor deiner Tür beanspruchen Schwarze Opernsänger*innen ihren wohlverdienten Platz in der Opernwelt. Inhaltlich werden nicht nur die Meinungen weißer Menschen über Afrikaner zentriert. Die Perspektive Schwarzer Menschen aus Afrika kommt genauso zur Geltung. Angesprochen wird die zuvor erwähnte Objektifizierung Schwarzer Menschen durch Europäer, sowie das Phänomen des White Saviourism. Der Begriff beschreibt die Haltung, dass Menschen aus Europa Afrikaner in jeglicher Art und Weise »retten« oder ihnen bei der Weiterentwicklung helfen müssten. Das Bild von den Menschen in Afrika, die in ihren Ländern hungernd auf das Geld der Europäer angewiesen sind, ist in den Medien weit verbreitet. Im Stück erleben wir als Zuschauer*innen wie die Mutter der deutschen Protagonistin den Südafrikaner wie ein Wohlfahrtsprojekt behandelt, ihm sogar Geld anbietet, wenn er dafür ihre Tochter in Ruhe lässt. Währenddessen zweifelt auch die Schwester des Protagonisten an der erblühenden Beziehung. Sie zweifelt daran, dass die sie es mit ihrem Bruder ernst meint, und dass sie Deutschland jemals verlassen würde um ihn in Südafrika zu besuchen. Es wird klar, es gibt Vorurteile auf beiden Seiten, die das junge Paar voneinander trennen.

At Your Doorstep / Vor deiner Tür trägt dazu bei, dass die afrikanische Kultur in Deutschland nicht nur als exotisch, oder dessen Präsenz als modern oder »woke« angesehen wird. Afrikanische Kunst und Kultur werden hier als der europäischen Kultur gleichwertig empfunden, was der Dekolonialisierung des europäischen Verständnisses von Hochkultur dient. Das vermeintliche und abwertende »Anderssein« Schwarzer Menschen wird ersetzt durch ein gegenseitiges und wertschätzendes »Verschiedensein«. Die Kammeroper träumt in ihren eigenen Worten von einer neuen Welt und dient gleichzeitig als eine Art Lichtblick in die Zukunft Schwarzer und afrikanischer Performer*innen in der Welt der Opern.

 

Quellen:

André, N. (2012). From Otello to Porgy: Blackness, Masculinity, and Morality in Opera. In N. ANDRÉ, K. M. BRYAN, & E. SAYLOR (Eds.), Blackness in Opera (pp. 11–31). University of Illinois Press. http://www.jstor.org/stable/10.5406/j.ctt2ttdmq.6

Barone, J. (2020, 23. September). Opera Can No Longer Ignore Its Race Problem. The New York Times. https://www.nytimes.com/2020/07/16/arts/music/opera-race-representation.html

Deutsche Welle (www.dw.com). (o. D.). „Whitewashing“ beim Film und in der Opernwelt. DW.COM. https://www.dw.com/de/whitewashing-und-rassismus-beim-film-und-in-der-opernwelt/a-55425461

Die Figur Monostatos in Mozarts Oper die Zauberflöte (1791). (2020, 1. Mai). Black Central Europe. https://blackcentraleurope.com/quellen/1750-1850-deutsch/die-figur-monostatos-in-mozarts-oper-die-zauberflote-1791/

Sebron, C. (2017, 12. Januar). A Brief History of Blacks in Opera. The Root. https://www.theroot.com/a-brief-history-of-blacks-in-opera-1790864051