Ein Italiener lässt in Bielefeld durchaus keine Puppen tanzen
Es ist Sonntagmorgen und gerade mal elf Uhr. Aber anstatt in müde Gesichter zu blicken, stehen im Tanzsaal des Stadttheaters 25 putzmuntere Bielefelder und Bielefelderinnen, die extra früh aufgestanden sind, um mit dem neuen Chefchoreographen Simone Sandroni zu tanzen.
Als erstes geht es darum, den Tänzer und die Tänzerin in sich zu entdecken. Denn, so einer der nachhaltigsten Sätze des quirligen Italieners, ALLES ist Tanz und Tanz ist eigentlich nichts anderes als eine Variation des alltäglichen Gehens. Und tanzen sollten am besten alle. Und zwar jeden Tag: Auf dem Weg zur Bushaltstelle, zum Kiosk oder auch an der Supermarktkasse. Dabei ist es Simone Sandroni wichtig, dass es nicht um die Reproduktion von Schritten geht, sondern darum, dass man seinen ganz eigenen Tanz findet, und das probieren dann auch alle.
Es wird viel gelacht an diesem Morgen im Tanzsaal. Der Chefchoreograph ist ein Meister der Nachahmung und bietet herrliche Parodien von allem, was er gesehen hat, und verteilt liebvolle, charmante Küsschen hier und da. Die – überwiegend weiblichen – Teilnehmerinnen sind begeistert. Immer wieder geht es darum, nicht nur den Tänzer und die Tänzerin in sich zu wecken, sondern vor allen Dingen, die Sinne zu schärfen. Bei einer Übung schließt einer aus dem Team die Augen und lauscht dem, was hinter ihm getanzt wird. Dann heißt es auch schon: Tanz doch mal nach, was Du gehört hast. Die Resultate sind verblüffend. Manchmal gibt es eine nahezu perfekte, tänzerische Reproduktion dessen, was man nur gehört hat, und dann wieder gibt es eine völlig neue Interpretation der Rhythmik. Es ist unglaublich spannend, zuzuschauen oder einfach nur den Kopf auszuschalten und abzuwarten, was an Tanz aus einem herausströmt.
Auch die Themen Vertrauen und Partnerarbeit werden immer wieder aufgegriffen. Da lassen sich Partner abwechselnd fallen, während der andere behutsam das Gewicht entgegennimmt und sein Gegenüber wieder aufstellt. Bei der Weiterentwicklung dieser Übung geht es dann in die Gruppenarbeit und immer drei Menschen gehen durch den Raum und spielen mit dem Thema »aus der Balance geraten«. Ein paar einfache Impulse von Simone Sandroni helfen den Tänzern und Tänzerinnen dabei, verschiedene Formationen zu probieren. Immer mutiger werden die Teilnehmenden und man sieht immer mehr Geschichten, die entstehen, wenn man einfach loslässt und tanzt.
So vergehen drei Stunden im Tanzsaal wie im Flug und schon ist der Workshop vorbei. Zum Thema Zeit hat Albert Einstein übrigens nicht das letzte Wort gesprochen! Laut Simone Sandroni ist die Zeit nichts anderes als ein Pferd, das man reiten sollte. Und wenn die Musik mal vorbei ist, bevor man den letzten Schritt gemacht hat? Egal: Stille bedeutet für ihn nicht das Ende der Musik, sondern vielmehr die Erinnerung an den Tanz.
Und wenn ich jetzt der Stille in meinem Büro lausche und die Augen schließe, kommen tolle Bilder und Momente vom vergangen Sonntag zurück und ein Lächeln breitet sich in meinem Gesicht aus …