Mirkos Welt

Mirko wacht morgens auf. In Bautzen. Er fährt den Rechner hoch und ist auf einmal in der großen weiten Welt. Trotzdem: Auf Facebook sieht er nur ein Gesicht: Das von Donald Trump. In der Nacht hat er die Wahl in den USA gewonnen und alle Freunde freuen sich. Die Seiten der AfD überbieten sich mit Glückwünschen, das Compact-Magazin bringt ein Sonderheft mit dem Titel »Trump gewinnt doch! Lügenpresse hat fertig«, und der Kopp-Verlag zeigt sich erleichtert, dass die Reptiloiden doch nicht die Macht ergriffen haben. Die Welt sieht gut aus an diesem Facebook-Morgen, denn Trump ist gegen den Krieg mit Russland, gegen die herrschenden Eliten, und viele sehen schon das Ende von Angela Merkel gekommen. Ein Freund aus Detmold teilt einen Artikel von Austrianetz in dem berichtet wird, dass Merkel jetzt endgültig hinschmeißen will. Klar, das hat sie schon oft gesagt. Zuletzt bei der Wahl in Berlin. Da hatte Karl Heinz Lenz, ein Abgeordneter der AfD in Schleswig Holstein geschrieben: »Merkel legt ihr Schicksal in die Hand der Berliner! Wenn die AfD am Sonntag auch in Berlin mehr als 20 Prozent erreicht, dann will sie noch in der Wahlnacht ihren Rücktritt verkünden. Ganz offiziell mit Logo und Farben der AfD. Gut, die AfD hat zwar keine 20 Prozent in Berlin bekommen denkt sich Mirko, aber auch wenn, dann hätte sie auch nicht zu ihrem Wort gestanden. Sie heißt ja nicht umsonst Lügen-Merkel. Politiker sind halt einfach so. Aber jetzt könnte sich wirklich etwas ändern. Jetzt wird die Luft knapp für sie, denkt sich Mirko, denn der Trump wird mit diesen Politikern aufräumen. Das findet Mirko gut.

Das muss gesagt sein: Mirko ist nicht rechts. Mirko ist kein Nazi. Hitler ist ihm scheiß egal. Der Krieg ist 70 Jahre her. Was zum Teufel hat Mirko damit zu tun? Nur, weil er diesen angeblichen Flüchtlingen nicht über den Weg traut, ist er doch noch kein Nazi. Die Linken, die reden doch immer vom Faschismus und von Hitler. Hitler hier, Hitler da. Die kriegen den Hitler nicht aus dem Kopf. Die Linken, das sind die wahren Faschisten.

Was Mirko an diesem Morgen aber nicht gut findet, ist, dass alle so auf diesen Trump abfahren. Was hat der denn für Deutschland getan? Wenn der sagt, dass er sich zuerst um Amerika kümmern will, dann fällt Deutschland doch hinten runter. Natürlich wäre es schön, wenn die Amis abziehen und Deutschland endlich wieder ein souveräner Staat wird, aber trotzdem. Warum jubeln denn alle einem Politker zu, der sich einen Dreck um das Deutsche Volk schert. Wenn Amerika keine Flüchtlinge aufnimmt und sogar noch alle anderen Immigranten rausschmeißt, dann kommen die ja alle nach Deutschland. Das findet Mirko nicht gut. Und das schreibt Mirko auch so auf Facebook. Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten. »Veräter« schreibt da einer. Ein anderer kommentiert, Mirko hätte doch keine Ahnung und würde auch nur zu den Kriegstreibern gehören. Der dritte Weltkrieg ist von Obama ja schon drei mal angeordnet worden, das würde jetzt ja aufhören, schreibt ein anderer. Das waren die einzigen beiden wirklichen Kommentare. Der Rest geht eher in die Richtung Beleidigung und Drohung.

Mirko versteht die Welt nicht mehr. Warum kriegt man Ärger, wenn man sich zuerst um das Deutsche Volk sorgt, und nicht um Trump? Was zum Teufel hat der denn jetzt mit dem Frieden zu tun? Warum genau muss Merkel jetzt abdanken? Und warum regen sich seine Freunde so auf, wenn er mal eine andere Meinung hat? Auf den Demos wird doch auch immer von Meinungsfreiheit gesprochen. Und das schreibt Mirko so auf die Seite der Gruppe mit dem schönen Namen »Freie Meinung im offenen Dialog«. Kurz darauf wird Mirko aus der Gruppe entfernt.

Konrad denkt sich, er hat heute genug gegen die Filterblasen getan. Er schließt Mirkos Timeline und geht eine rauchen.

von Konrad Kästner (Regisseur der Uraufführung Der Auftrag)