Suchte man nach einem lyrischen Ausdruck für das Gefühl, mit dem TANZ Bielefeld derzeitig in seine erste Saison startet, käme man kaum an dem beliebten Hesse-Gedicht Die Stufen vorbei. Spätestens in der fünften Zeile würden wir Ensemblemitglieder beim Begriff des Lebensrufs aufschauen und kräftig mit dem Kopf nicken, denn ein solcher ereilte uns erst vor wenigen Monaten mit all seinen aufregenden Konsequenzen: Die einen lockte er aus der Ferne nach Bielefeld, die anderen konfrontierte er hier vor Ort mit dem Weggehen vieler bekannter und dem Ankommen genauso vieler unbekannter Gesichter. Uns allen gemein war also zunächst einmal die Bereitschaft zum Abschied und Neubeginn.
Nun lässt sich generell vom Theaterbetrieb nicht behaupten, dass er sich in seinem heimischen Lebenskreis ohne größere Veränderungen traulich eingewohnt hätte – schon lange steht er für einen Ort konstanter personeller Fluktuation: So hat er neben regelmäßigen Engagements von Gastdarstellern, -musikern oder -regieteams mit jedem Spielzeitwechsel auch im festen Ensemble ein lebhaftes Kommen und Gehen zu verantworten. Als Resultat eines Vertragssystems, das für viele Mitarbeiter auf jährlich neu zu verhandelnden Verlängerungen bzw. Nichtverlängerungen basiert, ist der ständige Wandel immanenter Teil unseres heutigen Theateralltags. Und er kann je nach individueller Situation als belastende Unsicherheit oder als stets vorhandene Möglichkeit zu Aufbruch und Reise empfunden werden.
Vergleichsweise selten allerdings kommt es vor, dass sich eine gesamte Sparte vollständig neu konstituiert. Dass eine Kompanie nahezu geschlossen die Stadt wechselt und eine andere an ihre Stelle tritt. Im Fall von TANZ Bielefeld ist genau dies geschehen. Mit der Besonderheit, dass Simone Sandroni als neuer Chefchoreograph nicht mit einem bestehenden Ensemble umgezogen ist, sondern dass sich er und sein Team tatsächlich vor gut zwei Monaten zum ersten Mal begegnet sind.
Ändert das etwas am Neusein? Nicht selten geht dem Zauber des Anfangs ein Gefühl der Unsicherheit und der Einsamkeit voraus. Man dringt in eine feste Struktur ein, deren Mechanismen auf den ersten Blick fremd erscheinen, die es aber umso schneller kennenzulernen und zu verstehen gilt. Die große und doch unbekannte Gemeinschaft kann nicht sofort Vertrautheit vermitteln, auch sie muss sich an den oder die Neuen gewöhnen. Umso einfacher, wenn die Neuen gleich so viele sein dürfen und das Terrain miteinander erkunden können. Und umso reizvoller, wenn eine Gruppe ihr Profil von Grund auf selbst gestalten kann: ohne Vorbelastungen, ohne drohende Erschlaffung oder lähmende Gewöhnung, ohne Konflikte, die vielleicht unausgesprochen im Raum stehen. Stattdessen mit größter Offenheit und Neugier für die Geschichten, die überhaupt erst einmal erzählt werden müssen.
Was könnte da besser passen, als die Lust, sich in neue Bindungen zu geben und das Kennenlernen direkt mit dem Start in die künstlerische Arbeit zu verknüpfen? Mit einem kleinen Video-Einblick in die Probenarbeit möchten wir neugierig machen auf die Kompanie und ihr erstes Stück Geschichten, die ich nie erzählte, eine Hommage an die Menschen hinter den Darstellern auf der Bühne. Wir freuen uns auf zahlreiche Begegnungen mit Euch, um gemeinsam eine neue Stufe zu betreten und heiter neue Räume zu durchschreiten.
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