Nick Westbrock (r.) schrieb basierend auf einem Stück von Thomas Sutter, Gökşen Güntel und Sabine Salzmann Buch und Songtexte zum Musiktheaterstück MALALA, das er auf der Foyerbühne der Rudolf-Oetker-Halle auch inszeniert hat. Dramaturg Jón Philipp von Linden sprach mit ihm kurz vor der ersten Hauptprobe.
Nick, was fasziniert Dich an Malala?
Was mich an ihr fasziniert, ist dieser unfassbare Mut und der Kampfeswille, den sie hat, schon als kleines Mädchen eine Selbstverständlichkeit für ihre Rechte zu entwickeln. Und trotz allem die Welt nicht als Gegner zu sehen, sondern eher als ein riesiges wissenschaftliches Subjekt, das sie verstehen möchte. Sie wirkt immer wie ein junges Mädchen, in dem eine ganz alte Seele schlummert. Was ich sehr mag an ihr, ist: Sie weiß, dass sie eine große Medienpräsenz hat, dass sie berühmt ist. Trotz allem sagt sie immer, sie ist eine von vielen: Außer mir gibt’s noch hunderttausend andere Kinder, die ein ähnliches Schicksal haben wie ich.
Eine Biografie ist keine Dramaturgie. Wie hast du beim Schreiben Schwerpunkte gesetzt?
Was ich gesucht habe beim Schreiben des Stückes, ist einfach die emotionale Reise, die dieses Mädchen durchgemacht hat. Neben den ganzen politischen Sachen, die in Pakistan und im Swat-Tal vorgegangen sind: Hatte sie Angst? Und wo wurde ihre Existenz angegriffen? Ich finde es immer sehr spannend, wenn man die Figuren nicht nur von ihrer politischen Tragweite aus betrachtet, sondern vielmehr auch von ihrer emotionalen Essenz. Natürlich haben wir nicht dasselbe durchlebt wie sie, aber die Ängste, die Hoffnungen und die Kindheitsträume, die sie hat, die kennt jeder von uns. Das sind die Momente, wo man die Leute im Publikum abholen kann und darauf hab ich mich quasi konzentriert beim Schreiben des Stückes.
Wie müssen wir uns die Zusammenarbeit mit Danyal Dhondy vorstellen?
Ich hatte schon vorher ein paar Songtexte geschrieben und versucht, ihm die Atmosphäre in meistens sechs bis sieben Songbeispielen zu erklären – und, welche Rhythmik mir dabei vorschwebt. Dazu habe ich ihm gesagt, was ungefähr auf der Bühne passieren wird. So entstand das dann. Er ist nach unserem ersten Treffen nach Paris zurückgefahren und hat angefangen zu komponieren. Von dem ersten Song, den wir gemeinsam komponiert hatten, bin ich mit der Erfahrung mit ihm rausgegangen und habe das Stück und die letzten Songs zu Ende geschrieben.
Malalas Leben auf der Bühne zu thematisieren, auch wenn es nur in „flashlights“ geschieht, bedeutet, ziemlich viel Fakten transportieren zu müssen. Wie bist Du damit umgegangen?
Ich habe versucht, Etappen von Malala zu etablieren und ein Kind zu zeigen, wie es lebt, wie es sich fühlt, ohne dabei jede Szene mit einem Datum einzuleiten. Eher hab ich mich gefragt: Okay, in dieser Szene ist Malala ungefähr sieben Jahre alt, wie schaffen wir es auf der Bühne, eine möglichst spielerische Art zu finden und zu erklären, dass das jetzt gerade ein ganz junges Kind ist mit Hoffnungen und Träumen, das noch gar nicht so viel Sorge um die Welt hat? Ihre Gefühle waren also meine Fakten, die ich transportieren wollte. Natürlich gibt es auch innere Monologe von Malala, die sie ans Publikum richtet, aber auch die basieren eher darauf, dass zwar erklärt wird, was in Mingora passiert, was im Swat-Tal, aber immer verbunden mit der Figur. Aus dieser Sicht hab ich dann quasi die Daten versucht zu transportieren.
Mit Blick auf Deine gestalterische Zusammenarbeit mit Ann-Sophie Paar: Wie weit ist der paschtunische Hintergrund für Euch wichtig gewesen bei Bühnenbild und Kostümen?
Tatsächlich war uns der Hintergrund wichtig, allerdings wollten wir die Figuren und das Bühnengeschehen erlebbar machen. Das heißt, unsere Hauptaufgabe bestand darin, diese paschtunische Tradition von Malala in ein europäisches Gerüst zu stecken. Wir haben versucht, alles, was wir so an Vorlagen, Tradition, Kleidung, Farben (ein ganz besonderes Stichwort), Verhalten, Kultur und Traditionen fanden, einzusaugen und eine Adaption davon zu finden. Die Kostüme bestehen zum Großteil tatsächlich aus paschtunischen Stoffen, da Sophie durch Zufall in Wiesbaden eine Stoffhändlerin hierfür gefunden hat. Wir haben versucht, Schnitte zu finden, die sich an das Paschtunische anlehnen, aber unserem europäischen Auge nicht fremd sind.
Die Beteiligung von Jugendlichen aus aller Welt war von Beginn an Deine Vision zu MALALA. Wie hast Du mit Alina Meinold zusammen die Jugendlichen eingebunden und wie lange hat das gedauert?
Alina Meinold und ich hatten die Idee, dass wir diesen Leitsatz von Malala – sie ist eine von vielen – versuchen, auf die Bühne zu bringen. Das Tolle ist ja, dass wir durch die Initiative „Angekommen in deiner Stadt Bielefeld“ wirklich mit Jugendlichen zusammenarbeiten, die einen Migrationshintergrund haben, die zum Teil geflüchtet sind, und dadurch eine ganz andere Sicht auf diese Geschichte haben .Viele von denen wussten gar nicht, dass Malala existiert und dachten, es sei ein Märchen, weil sie sich gar nicht vorstellen konnten, dass sowas wirklich passiert sein könnte. Und da konnte ich die Jugendlichen dann abholen. Die erste Präsentation des Projektes mit den ersten Jugendlichen und Lehrern war Ende Oktober 2018. Im November hatten wir eine erste Schnupperprobe mit drei Leuten. Nach einer weiteren großen Präsentation bei der Initiative „Angekommen in deiner Stadt Bielefeld“ im Januar fingen wir an, uns alle zwei Wochen für drei Stunden zu treffen. Da ging es erstmal darum, uns gegenseitig kennenzulernen, ein Vertrauen zu finden. Viele von den Jugendlichen standen noch nie auf der Bühne, haben noch nicht wirklich Theater gesehen, hatten aber irgendwie Lust drauf, wollten gucken, was ist das überhaupt. Und nach ungefähr drei Monaten haben wir angefangen, konkret an Szenen zu arbeiten. Die Gruppe der Jugendlichen ist über die Probendauer natürlich zum Teil auch kleiner geworden. Ab Ende April war dann die „heiße Phase“, wo dann auch unsere drei Profis Susi Studentkowski, Alexander von Hugo und Judith Patzelt dazu kamen. Der tollste Moment war, als wir die erste Choreoprobe hatten, und die Jugendlichen gemerkt haben, dass sie alles viel besser können als die Profis. Und dadurch einfach plötzlich eine Begegnung auf Augenhöhe da war. Sie durften dann natürlich auch Proben angucken, einfach mal zusehen, was die drei Profis so auf der Bühne machen. Und dann haben sie gemerkt, wie das langsam zu einem großen Ganzen zusammenwächst. Die Konzeption und das Stück stehen zwar noch, so wie es gedacht war, aber dass sich durch diese Interaktion miteinander so viele neue Wege aufgemacht haben, war einfach ein unfassbares Geschenk für die Produktion. Die hätten wir ohne das Dabeisein der Jugendlichen so nicht gehen können.
Großartig, ich danke Dir!