Hat sie etwa gerade »Bärenpelz« gesagt?

Mit Nadel und Faden kann ich persönlich ungefähr genauso geschickt umgehen wie ein Elefant mit Essstäbchen. Vielleicht ist das ein Grund, warum ich Menschen bewundere, die es fertig bringen, aus einem schlichten Stück Stoff ein Ballkleid oder ein Raumschiff zu zaubern. Meine Mutter ist so ein Mensch. Und auch hier am Theater trifft man solche begabten Menschen.

Ich bin Praktikantin in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Von meinem Arbeitsplatz aus kann ich durchs Fenster einen Blick in das Gebäude auf der anderen Straßenseite werfen und das ist manchmal ganz spannend, denn dort befindet sich die Schneiderei des Theaters Bielefeld.

Figurine_SchneekoeniginIm diesjährigen Familienstück zur Weihnachtszeit, einer Bühnenfassung von Hans Christian Andersens Märchen Die Schneekönigin, gibt es eine Szene, in der besagte und gefürchtete Königin in ihrem imposanten Schlitten auf den Jungen Kay trifft, der gerade staunend Schneeflocken betrachtet. Als er keinerlei Angst vor der Schneekönigin zu haben scheint, fragt diese ihn kurzerhand, ob er in ihren Schlitten steigen und mit ihr kommen möchte.

»Aber es ist so kalt. So kalt«, meint Kay fröstelnd.

»Wer wird denn frieren! Krieche nur hinein in meinen Bärenpelz!«, lockt ihn die frostige Hoheit.

Und so beginnt das Abenteuer, denn natürlich steigt Kay in den Schlitten ein. Aber halt – hat sie etwa gerade »Bärenpelz« gesagt?

Im Laufe des Stückes wird die Protagonistin des Märchens – nein, nicht die Schneekönigin, sondern Kays beste Freundin Gerda – auf viele andere Figurine_FlusspferdGestalten treffen, darunter ein Flusspferd, eine Zauberin in einem Blumengarten und eine Räuberbande. In einem Märchen ist das natürlich nichts Ungewöhnliches und im Film stellt die Umsetzung solcher Gegebenheiten mit der heutigen Technologie kaum noch ein Problem dar. Aber wie setzt man dies auf einer Theaterbühne um, live und unter den kritischen Blicken des jungen Publikums? Gerade Kinder durchschauen oftmals besser als Erwachsene, was da auf der Bühne vor sich geht, weisen auf Unstimmigkeiten hin und schenken vielen kleinen Details größere Aufmerksamkeit. Wie erschafft man also eine magische Märchenwelt ohne Greenscreen?

Glücklicherweise ist einer der unschlagbaren Vorteile eines Praktikums am Theater der, dass man Gelegenheit hat, Beteiligte an einem Stück wie Die Schneekönigin einfach darüber auszufragen, was denn genau ihre Aufgaben
sind und diese Informationen exklusiv zu veröffentlichen. Ich habe mich also mit Julia Hattstein getroffen, die für die Ausstattung des Weihnachtsmärchens verantwortlich ist. Julia ist freischaffende Bühnen- und Kostümbildnerin und hat bereits einige Male mit dem Theater Bielefeld zusammengearbeitet, u. a. für
Der gestiefelte Kater.

»Ich liebe es, Bühne und Kostüme für Weihnachtsmärchen zu entwerfen, weil diese einen kindlicheren Blick auf die Welt bieten und künstlerische Freiheiten erlauben.«

Für Julia beginnt die Arbeit zunächst mit dem Lesen des Stückes und einem Treffen mit dem Regisseur, um erste Ideen zu besprechen und abzuklären, Modell Bühnenbild Eispalastworauf der inhaltliche Schwerpunkt bei der Inszenierung gelegt werden soll. Die junge Gerda durchläuft auf der Suche nach ihrem Freund nicht nur die Jahreszeiten, sondern auch verschiedene emotionale und gesellschaftliche Stadien und wird so im Laufe des Märchens erwachsen. Weil jede der Stationen, an denen Gerda Halt macht, einzigartig ist und ein reger Wechsel stattfinden wird, hat sich Julia für eine Drehbühne entschieden. So kann Gerda durch die Welt gehen und ihre »zwei Häutungen« durchmachen, wie die Ausstatterin es nennt: Eingekleidet in einen teuren Muff, ein Geschenk von einer Prinzessin, wird sie im Wald von Räubern überfallen, die sie aus Mitleid aber ziehen lassen, den Muff allerdings behalten und ihr stattdessen große Handschuhe mitgeben. Doch auch diese Dinge verliert sie in einem Schneesturm und ist am Ende sie selbst, wenn sie der Schneekönigin entgegentritt.

Modell Bühnenbild Die Schneekönigin»Im Kopf muss es stimmen«, meint Julia, »dann zeichne ich daraus zunächst den Grundriss und baue anschließend ein Modell.« Bei der Planung muss sie nicht nur den Stückinhalt, sondern auch die Gegebenheiten des Theaters beachten; das Bühnenbild darf also nicht zu groß werden und muss so beschaffen sein, dass man es ohne größere Probleme häufig auf- und abbauen kann, da auf der Stadttheaterbühne natürlich immer mehrere Stücke gezeigt werden. Erst Blumenfrau_Bühnenbildmodellentsteht das Bühnenbild und dann die Kostüme, weil diese optisch zur Bühne passen müssen, um ein stimmiges Gesamtbild zu ergeben. Auch kurzfristige Änderungen, die sich im Probenverlauf herausstellen können, müssen möglich sein.

Das aufwendigste Kostüm ist das der Schneekönigin, verrät Julia. »Das liegt auch daran, dass sie zwei Kostüme bekommt.« Aber auch Tierkostüme stellen eine Herausforderung dar, da sie eine überzeugende Mischung aus Mensch Figurine Baund Tier sein müssen. Reine Pappmaché-Figuren kommen nicht in Frage, weil sie zum einen zu unflexibel sind und zum anderen auf das Publikum auch schnell zu distanziert wirken können. »Es ist wichtig, dass die Kinder in ihrer Phantasiewelt abgeholt werden bei einem solchen Stück«, betont Julia. Die Inszenierung muss sozusagen eine eigene Sprache und Bildwelt finden, die die Kinder verstehen und die auch eine Alternative zur prägenden und idealisierten Disney-Bildwelt bieten kann.

Etwa 11 Wochen nimmt die Entstehung der Kostüme für das Weihnachtsstück in Anspruch. »Insgesamt ist es ein sehr intensiver Prozess«, meint Julia. Mit ihren Figurinen fängt es an, anschließend folgen Konzeption und Probenkostüme, anhand derer Schauspieler und Ausstatterin festlegen, was das jeweilige Kostüm »können« soll und wie es sich beim Tragen und Spielen anfühlt. Gemeinsam mit den Schneiderinnen Figurine Krähebespricht Julia Materialien, die für die Kostüme in Frage kommen, sie durchforsten Kataloge und fordern Stoffproben an. Für die erste Anprobe werden unter Umständen noch nicht die finalen Stoffe verwendet, falls etwas schief geht oder man sich umentscheidet. Deshalb sind Rücksprachen sehr wichtig. Wenn der Schnitt feststeht, trägt die Gewandmeisterin diesen auf den Stoff auf, es wird geheftet und dann findet eine erneute Anprobe mit den Schauspielern statt.

»Mehrmals pro Jahr kann ich so eine neue Welt kreieren und das ist, trotz einiger Vorgaben, ein echtes Privileg, weswegen ich meinen Job sehr liebe.«

von Andrea Hermes