Mit Hängen und Würgen erreiche ich die letzte Tür, steige ein, nachdem ich auf dem Bahnsteig noch eine junge Mutter mit kleinem Kind und sehr schwerem Rucksack überholt habe, die ebenfalls rennen musste. Umsteigen in Hannover von einem sehr langen ICE in einen sehr kurzen IC … Ich wuchte den Koffer für vier Tage Chemnitz ins Oberdeck, finde einen freien Platz mit Fenster und packe das schon etwas betagte Laptop aus. Kopfhörer ins Ohr, und los. Das Display zeigt Sprachmemo 034.m4a:
Rami, was ist Dir durch den Kopf gegangen, als Du das erste Mal von der Idee Oper meets Rap im Stadttheater gehört hast? – Da war ich auf jeden Fall begeistert. Auftritte hab ich schon immer sehr gemocht und im Stadttheater bin ich damals mit der Klasse aufgetreten. Da hab ich gesehen, wie riesig das alles ist. Mal mit einem Orchester zusammenzuarbeiten, war das, worauf ich immer schon mal Lust hatte – und nicht nur auf Play zu drücken und dann zu rappen.
Rami erinnert sich, dass er in der Theaterklasse der Gesamtschule Schildesche öfters mit dem Theater zu tun hatte und dass sie – damals – nach ihrem Auftritt auch einen kleinen Rundgang machen konnten, um zu sehen, wie alles auf und hinter der Bühne funktioniert. Ich überlege kurz, ob wir uns damals womöglich schon mal gesehen haben, weil ich häufiger mal Führungen übernommen habe. Kann mich aber natürlich nicht erinnern. Weiterhören: Ich frage ihn, worum es in seinem Song Hölle geht, den er bei Oper meets Rap performt. Der Zug schwankt, die neuen Doppelstock-Intercitys sind ja sonst ganz angenehm, aber diese Eigenschaft nervt. Zudem ist meine Nase zu – eine sich anbahnende Erkältung oder nur Allergie? Beides wäre möglich. Schicksal. Mir fällt ein, dass ich Rami gar nicht gefragt habe, woher er eigentlich kommt. Woher seine Eltern kommen. Ob sich Hölle wohl darauf bezieht? – Mein Lied Hölle ist halt … ein sehr persönliches Lied. Da rappe ich über meinen eigenen Weg, sozusagen. Über das, was mich beschäftigt hat. Zum Beispiel über meine Mutter. Dass ich manchmal sehr faul bin, trotzdem was erreichen will und meine Mutter das auch sieht. Und sich irgendwie entschuldigen will. Das mit meinem Vater. Meine Eltern sind schon lange getrennt, ich hab trotzdem einen guten Draht zu meinem Vater. Das war aber schon mal schlechter, darüber sag ich halt was. »Unser nächster Halt ist – Braunschweig Hauptbahnhof«, plärrt die automatische Lautsprecherstimme. Ich unterbreche kurz das Abtippen. Habe zwar zwei Ohren, aber nur ein Hörzentrum.
Was mich sehr bewegt hat in der letzten Zeit, auch in der Zeit, als ich den Song geschrieben hab, war die Sache mit meiner Nichte. Die wird jetzt im Dezember zwei. Gott sei Dank hat sie alles gut überstanden. Hatte die Diagnose Krebs bekommen, mit einem halben Jahr schon. Und das hat unsere ganze Familie beschäftigt. – Wahnsinn, denke ich. So ein kleiner Wurm, und dann Krebs. Habe unseren Dreijährigen vor Augen. Was einem als Vater eben so durch den Kopf geht, wenn man andere Kinderschicksale erfährt und sich sofort in die Eltern hinein versetzt.– Die war über die Hälfte ihres Lebens im Krankenhaus, und … ja. Das lag mir halt alles sehr am Herzen. Der Zug rollt wieder an, ein Kind plärrt irgendwo. Draußen Oktoberwetter: Grau und regnerisch.
Wenn Du einen Rap schreibst, ist das auch ein bisschen Verarbeitung von solchen Dingen? – Nein, es ist nicht wie eine Verarbeitung. Auch wie ich anfange, überhaupt Musik zu machen: Wenn ich einen Beat oder ein Instrumental höre, hab ich eine Idee im Kopf, was ich schreiben will. Auf dieser Idee oder auf diesem Beat, der schon eine Stimmung vorgibt, kommt ein gewisses Thema zustande. Die Sachen, die mich zur Zeit beschäftigen. Aber die hab ich damit nicht unbedingt »verarbeitet«.
Umso erstaunlicher ist es, dass Du ja was sehr Privates offenlegst? – Auf jeden Fall. Das ist eigentlich das erste Mal, dass ich das gemacht habe. Oft hab ich Lieder eher aus dem Spaßfaktor heraus geschrieben, auch ernstere Sachen, auch nachdenklichere Sachen, die aber nicht unbedingt auf mich bezogen waren. Eher Sachen wie Storytelling, oder ich hab Themen angesprochen, die die Welt so beschäftigen.
»Kaffee, Tee, kühle Getränke?« Eine junge Dame im flotten rotweißen Dress kommt mit einer Art Bauchladen vorbei. Dankbar erleichtere ich sie um einen frisch gebrühten Kaffee – im neuartigen Filterbecher. »Da machen Sie hier die Klappe auf und …« – »Danke, das kenn ich schon.«
Rami, hast Du denn Vorbilder? – Nicht wirklich. Früher hab ich viel RAF Camora gehört, RAF 3.0, das ist ein deutscher Rapper, der kam aus Österreich. Das war nie so einer, der Musik macht, wo es nur um Beleidigen und sowas geht, sondern eher mit Tiefsinn. – Ich bin ja totaler Laie, wie muss ich mir das vorstellen, wenn Du einen Text machst? Spielst Du dann mehrere Möglichkeiten durch, was gut klingt, welche Wörter aufeinander passen? – Ich achte jetzt nicht darauf, wie etwas klingt, wie sich etwas anhört, ob harmonisch oder sonstwas. Die Sätze kommen schon gereimt in meinen Kopf, sozusagen. Ich sage etwas, den ersten Satz, darauf stellt sich schon der Inhalt des zweiten Satzes ein, der eine Verbindung zum ersten Satz hat. Das Ende, halt der Reim, der ist meistens einfach schon da. Der passt dann auch sprachlich da rein.
Ich frage Rami, ob er hauptberuflich rappt. Nein, sagt er, ich gehe noch zur Schule, mache Abitur. Ich weiß noch nicht, wohin mit mir. Die Schule ist eine gute Zeit, um das zu überbrücken, viel nachzudenken noch. – Ein Güterzug rasselt auf dem Gegengleis vorüber, gefühlte hundert Waggons, unten rot, oben grau. Dahinter Wiesen, Strommasten, in der Ferne Bäume …
Wie sieht denn normalerweise ein Auftritt bei Dir aus? In welchem Rahmen findet der statt? – Meine letzten Auftritte sind jetzt schon länger her. Oft war es mit DBLuDee, mit Daniel zusammen im Jugendzentrum. Dort wurde auch unsere gemeinsame CD aufgenommen, mit verschiedenen Künstlern. Ich war auch vertreten. Da hat jeder zweidrei Songs performt, immer hintereinander weg. Soviel Bühnenerfahrung hab ich jetzt auch noch nicht, dass ich mir zu hundert Prozent sicher bin, wie ich stehe, wo ich stehe, wie meine Körperhaltung ist. Das Selbstbewusstsein hab ich aber eigentlich schon. Bisschen nervös ist man ja immer am Anfang, aber sobald man drin ist, legt sich das alles.
Hast Du da vom Theaterspielen nicht schon ein bisschen Rückenwind? – Auf jeden Fall. Da war auch die Nervosität nie da, ich hab halt einfach meine Rolle gespielt, hab auf meine Körperhaltung geachtet, wie ich Sachen ausspreche, Mimik, Gestik und so..
Na, denke ich, das sind doch die besten Voraussetzungen für den 29. Oktober. Ich spule vor, um meine Stimme nicht weiterhin »von außen« hören zu müssen, das ist auf Dauer schwer erträglich. Wir sprechen über die bevorstehenden Proben, welche unserer Opernsänger bei Ramis Song mitsingen, und ich frage ihn schließlich, ob er gern noch was loswerden würde. Rami lacht. Alles okay! Nächster Halt: Magdeburg Hauptbahnhof. Ausstieg in Fahrtrichtung links. Vielen Dank für Ihre Reise mit …