ZETRIK

– Wie war der Name? Zetrik? – Nein, Cédric. Das ist ein französischer Name, das »e« wird etwas länger gezogen und hinten bei der zweiten Silbe geht es hoch. – Und der Nachname? Caaavaatooore… Italiener? Spanier? – Nein, Papa Franzose, Mama Deutsche. Der Name ist italienisch, wird aber französisch ausgesprochen, kommt daher, dass ich auf französischer Seite zum Teil italienische Vorfahren habe, kommt öfters vor, gerade im Süden.

So oder so ähnlich verläuft ein Gespräch in der Regel, wenn ich mich jemandem vorstelle. Da ich gerade hier in Bielefeld am Theater als Schauspieler angefangen habe, finden solche Gespräche gerade sehr häufig statt und mehr als sonst muss ich mich und meinen Namen, also meine Ich rufe meine Brueder_Foto Philipp OttendörferIdentität erklären, mehr als jemand mit offensichtlich deutschem Namen. Es gab eine Zeit, da war es mir egal, wie mein Name ausgesprochen wurde. Ich wollte nicht anders sein, nicht stören, den Leuten nicht die Anstrengung abverlangen, sich auf eine andere Phonetik einzulassen oder ihr verkümmertes Schulfranzösisch zu bemühen.

Es war mir aber nicht wirklich egal, in Wahrheit hatte ich oftmals unbewusste Gefühle von Scham und Fremdheit, wenn ich mich vorstellte, aber auch Unmut, wenn mein Name falsch ausgesprochen wurde oder gar Wut, wenn jemand trotz ausführlicher Erklärung und Demonstration, sich nicht einmal die leiseste Mühe gab.

Warum erzähle ich das alles? Auch in unserem aktuellen Stück Ich rufe meine Brüder von Jonas Hassen Khemiri geht es um Identitätsfindung, Selbstverleugnung und Verleugnung durch andere. Da haben wir einen jungen schwedischen Mann namens Amor mit tunesischen Wurzeln, der es besser als sein Vater, andere Familienmitglieder und Freunde machen will, der sich integrieren will, der nicht scheitern will, der beweisen will, dass auch er ein perfekter Schwede, ja gar schwedischer als ein »normaler Schwede« sein kann. Dieses Ziel versucht er mit sehr guten Leistungen in der Schule, superkorrektem Verhalten im Alltag sowie der Infragestellung kultureller Eigenheiten von Familie und Bekannten zu erreichen. Gleichzeitig ist er sich durchaus bewusst, dass dies für ihn schwieriger ist als für einen »blonden« Schweden, aber gerade dieser Umstand scheint ihn in seinen Bemühungen noch mehr anzuspornen. Die Tragik Amors besteht jedoch darin, dass er tatsächlich einem Selbstbild hinterher hechelt, das er gar nicht erreichen kann, denn er ist weder ganz Schwede noch ganz Tunesier.

Wie geht man damit um, wenn man in einem Land zu Hause ist, in einem anderen aber vielleicht auch oder zumindest auf die ein oder andere Art von mehreren Ländern bzw. Kulturen geprägt ist? Es gibt immer mehr Menschen mit mehreren Nationalitäten oder Eltern, die aus einem anderen Land nach Deutschland gekommen sind und dort Kinder zur Welt gebracht haben, für die Deutschland ihre Heimat ist. Dadurch werden Gesellschaften natürlich um einiges vielfältiger – eine gute Pizzeria und ein anständiger Dönerladen sind selbst aus der kleinsten deutschen Stadt nicht mehr wegzudenken – aber einiges wird auch komplizierter. In welcher Sprache unterhält man sich und für welchen Pass entscheidet man sich? Welches Fernsehen schaut man und für welche Mannschaft fiebert man bei der Fußball-WM mit? Wenn Deutschland Frankreich bei der WM rausschmeißt oder umgekehrt kann ich mich nie ganz freuen, sondern nur damit trösten, dass hoffentlich die bessere Mannschaft gewonnen hat.

Immer wieder gerät man als Mensch mit »Mischidentität« in mehr oder weniger starke Spannungsfelder von Herkunft und Kultur. Oft wird von außen verlangt sich zu positionieren oder zu bekennen (Das Fußballbeispiel ist auch hier genauso banal wie zutreffend). Aber im Gegensatz zu einer politischen Haltung beispielsweise, hat man sich seine Herkunft ja nicht ausgesucht. Natürlich prägt die Herkunft oft auch die politische Haltung und viele andere Bereiche des Lebens, aber für seine Herkunft kann man erst mal nichts. Umso erstaunlicher und für die Betroffenen auch ärgerlicher ist es, wenn sie sich nun, nur aufgrund ihrer Herkunft, dafür rechtfertigen müssen, dass gewisse Menschen mit ähnlichem nationalen, kulturellen oder religiösen Hintergrund ein gewisses Fehlverhalten an den Tag legen. Warum muss ich mich vor deutschen Bekannten dafür rechtfertigen, wenn in Frankreich der Front National gewählt wird oder Herr Hollande sein Land vor die Wand fährt? Warum müssen sich viele Muslime dafür rechtfertigen, dass einige radikale Idioten sich und ihre Mitmenschen in die Luft jagen oder Menschen, die ihnen nicht passen, die Köpfe abschlagen? Dass man über solche Themen redet, ist selbstverständlich richtig und wichtig, aber oft findet, bevor überhaupt geredet wird, eine Vorverurteilung statt und der Ton der Konversation ist vorwurfsvoll und nicht interessiert – sofern bei all den Vorurteilen noch eine Konversation zustande kommt.

Natürlich sind einige Themen so heikel, dass es schwierig ist, kühlen Kopf zu bewahren, aber jeder, der einmal zu Unrecht einer Sache beschuldigt wurde, wie belanglos sie scheinbar auch sein mochte, weiß, was für unangenehmes Gefühl das ist. Für Amor ist die Situation noch verschärfter. Er steht nach einem terroristischen Anschlag aufgrund seiner Herkunft unter Generalverdacht.

Inwieweit dieser Generalverdacht von außen existent oder doch nur ein ungutes Gefühl, eine Einbildung Amors ist, ist nicht so wichtig, denn eine Empfindung ist immer real und hat ihre realen Ursachen und, wie wir immer wieder im Fernsehen und anderswo sehen müssen, ihre realen Konsequenzen. Für Amor wird dies immer mehr zum Problem, sein Handeln und Denken nehmen immer groteskere Züge an. Er versucht zwanghaft, einem Bild zu entsprechen, dass er sowieso schon nicht komplett erfüllen kann und das durch die neue Situation noch unerreichbarer wird. Er müsste einen Teil seiner Identität negieren, aber das ist kaum möglich und wenn doch in jedem Fall ungesund, dies gilt, wie man aus der Psychologie weiß, nicht nur für Fragen der Herkunft, sondern jegliche Bereiche der eigenen Identität. Das Abschneiden eines Teils seiner Identität wird von Amor aber immer wieder von allen Seiten verlangt, er soll sich positionieren. Seine tunesischen Verwandten verlangen es, die schwedische Gesellschaft verlangt es und nicht zuletzt er selbst. Es wäre kindisch zu diskutieren, wer angefangen hat, das Problem ist da.

Interesse und ein bisschen mehr Mühe sind für mich der Schlüssel, um so zerrissenen Menschen wie Amor oder zumindest verunsicherten oder mit ihrer eigentlichen Heimat fremdelnden Menschen, das Gefühl zu geben, willkommen, also zu Hause zu sein. Es sind Ignoranz, Engstirnigkeit und Vorurteile, die einem Menschen mit einer herkunftsbedingten Mischidentität das Leben so schwer machen, denn anstatt es als Chance und Bereicherung zu begreifen, einen Menschen mit einem anderen Hintergrund kennenzulernen und somit seinen eigenen Horizont ein wenig zu erweitern, wird es oft als mühselig angesehen, sich damit nun auch noch auseinandersetzen zu müssen. Wenn man dann so wie ich auch noch darum bittet, es zumindest zu versuchen, den eigenen Namen richtig auszusprechen, was für mich die logische Konsequenz aus Anerkennung, also des Respekts vor dem Gegenüber ist, bekommt man nicht selten, das Gefühl zu nerven oder gar etwas Ungehöriges zu verlangen. Wir sind ja schließlich in Deutschland, also sprechen wir die Sachen auch deutsch aus. Aber ansonsten versuchen wir doch eigentlich auch, mit Ausnahme vielleicht der Deutschen Bahn, ausländische Worte richtig auszusprechen, oder? Aber das hat wahrscheinlich weniger mit Respekt vor der Sprache und derer, die sie sprechen als mit einem eitlen Perfektheitsanspruch zu tun – der übrigens recht deutsch ist, dennoch würde ich niemals behaupten, alle Deutschen sind so 😉

Wenn mir also, dessen zweite Herkunft nur im Namen und der ein oder anderen kulturellen Prägung, nicht aber im Aussehen zu erkennen ist, solch teilweise respektlose Engstirnigkeit ab und an begegnet, wie muss es dann für jemanden sein, der seinen anderen kulturellen Hintergrund in Farbe und Beschaffenheit seines Haares oder auf seiner Haut offensichtlich mit sich herumträgt?

Ich kann es nur erahnen, aber die Erfahrungen, die der Autor unseres Stücks zu Papier bringt und die auch sein Alter Ego Amor äußert und die Auswirkungen, die es auf sein Handeln hat, sind im wahrsten Sinnes des Wortes bemerkenswert. Man bemerkt, dass die Wurzeln von Gewalt in der Respektlosigkeit liegen, in der Missachtung von Menschen und dem, was sie ausmacht, also ihrer Identität. Damit ist aber eben nicht nur die Respektlosigkeit des Gewaltausübenden gegenüber seinen Mitmenschen gemeint, sondern eben auch jene, die der Gewaltausübende vorher in der Missachtung seiner Identität erfahren hat.

3 Kommentare:

  1. Sehr eindringlich – sowohl das STück als auch die Darstellung als auch der blog-Text von Cédric!
    Die drei jungen Leute haben gestern Abend fabelhaft eindringlich, beeindruckend, beängstigend gespielt. (gibt es kein anderes Wort: spielen klingt so leicht und kindisch) Eine große Wucht liegt – so finde ich – in dieser Inszenierung. Eine große Nachwirkung hat die Darstellung oder/und das Stück auf mich, weil ich doch auch recht viel selbst denken musste und immer noch muss.
    Ich habe gerade heute früh eine junge Ärztin getroffen, geboren in Palästina, aber seit ewigen Zeiten hier in Deutschland, sie bestätigt genau das, was Cédric beschreibt. Von außen wird dir dauernd zugeschrieben, dass du anders bist – aber du bist es gar nicht. Dauernd siehst du dich in einem Spiegel, aber der Spiegel bist ja nicht du. Wahnsinn.
    Sehr aktuell dieses Stück. Hoffentlich nehmt ihr es mit in die neue Spielsaison. Es lohnt sich glaube ich. Oder geht damit in die Jugendzentren, die Schulen, auch die islamischen.
    Toll! Danke! Ich bin wieder total begeistert vom Bielefelder Theater, von den ganz jungen Theaterleuten besonders.
    Elke Nissen

    1. Was für eine tolle Rückmeldung, danke. Ja, das war eine gute und wichtige Arbeit für alle Beteiligten. Gestern war die letzte Vorstellung. Das Stück stand 19 Mal auf dem Spielplan, es haben eine Menge Leute gesehen und wir haben häufig positives Feedback, auch von Schulen, bekommen. In der kommenden Spielzeit wird es wieder spannende, neue Stücke und Inszenierungen zu entdecken geben, die auch aktuelle Themen aufgreifen. Also: gerne wiederkommen!

  2. Cédrics Erfahrungen bei der Aussprache seines Namens kann ich nachvollziehen: In drei Jahren New York belehrte man mich regelmäßig, mein Vorname sei falsch geschrieben. Um ihn so auszusprechen, wie ich es vormachte, müsse er „Marlena“ heißen. Sowas verschlägt einem die Sprache, ist aber gut gemeint: Ich war’s, die etwas nicht kapiert hatte.
    Das passiert aber auch innerhalb einer Sprache: Bevor Grönemeyers Lied den Namen meiner Herkunftsstadt Bochum bekannt machte, amüsierte man sich gern über mich, wenn ich darauf bestand, er werde nicht so gesprochen wie im Wort „Koch“. Man fasste es auf als Anzeichen für Prätention, ausgerechnet vom Ruhrpott.
    Dass da Besserwisserei (typisch deutsch? siehe NY!) eine unselige Ehe eingeht mit Respektlosigkeit, ist sicher nur Teil des Problems. Es kommt ein Reflex hinzu: Bei einem Fehler ertappt, neigen wir zu Bagatellisierung. Beim Gegenüber kommt das aber an als Herabwürdigung dessen, was er gerade erklärt hat. Brächten wir es nur über uns, eine Korrektur hinzunehmen, gäbe es auch keine Konkurrenz darum, wessen Meinung/Wissen/Gewohnheiten/Prioritäten „wichtiger“ sind.

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