Solidaritätserklärung der Bühnen & Orchester Bielefeld mit den Studierenden der besetzten Universität für Theater und Filmkunst in Budapest.
Seit vier Wochen halten Theater- und Filmstudierende ihre Universität in Budapest besetzt. Es geht ihnen dabei um die Autonomie dieser Institution, die – wie die Autonomie vieler Institutionen in Ungarn – bedroht ist. Ein neues Gesetz soll die Universität für Theater und Filmkunst (SZFE) „reformieren“: Effektiv entzieht es dem Senat die meisten Befugnisse und übergibt die Leitung dem Kuratorium einer Stiftung, das ausschließlich von der rechtsnationalen Regierung bestellt ist. Als Theaterschaffende und Bürger*innen sehen wir diese Entwicklungen mit größter Besorgnis und solidarisieren uns mit den Studierenden in Budapest.
Die Besetzung der Universität ist kein willkürliches Aufbegehren der Studierenden, sondern der Versuch, ihre Hochschule, ihre Institution, und damit auch die Demokratie ihres Landes zu schützen. Es geht hier um viel mehr als „nur“ eine Theater- und Filmuniversität. Der Vorgang um die SZFE mag zunächst marginal erscheinen, doch er reiht sich ein in eine lange Liste von Bestrebungen der ungarischen Regierung, Theaterkultur – sowie Kultur überhaupt – unter ihre Kontrolle zu stellen.
Seitdem vor zehn Jahren Orbáns Fidesz-Partei die Mehrheit in Ungarn erlangte, werden Etats von Theatern willkürlich gekürzt. Künstler*innen werden zu Kriminellen und Terrorist*innen erklärt: So erscheint die Theatergruppe Krekatör 2014 auf einer schwarzen Liste „problematischer“ Nichtregierungsorganisationen, die politischen „Fremdinteressen“ gegen den „Willen der ungarischen Mehrheit“ vertreten könnten. Drei Jahre später werden deren Begründer Árpád Schilling und Márton Gulyás zu „potentiellen Vorbereitern staatsfeindlicher Aktivitäten“ – sprich Staatsfeinden – erklärt. Unliebsame Intendanten großer Theater werden entlassen und mit staatstreuen Nachfolgern besetzt – wie 2011 der rechtsextreme István Csurka für das Neue Theater Budapest und 2012 Attila Vidnyánszky für das Nationaltheater. Ende letztes Jahres wird ein Gesetz zur Kulturförderung verabschiedet, das die Entwicklung und Finanzplanung von Kulturorganisationen unter staatliche Kontrolle stellt und föderale Kulturpolitik zentralisiert. Um heute in Ungarn de facto für eine wichtige Position im kulturellen Bereich in Frage zu kommen, muss man die Politik der Regierung offen unterstützen.
Was hier nach und nach geschieht, ist die Abschaffung pluralistischer Strukturen und eine Zentralisierung von Macht. Das gesamte Kulturleben Ungarns wird nach den Vorstellungen der Regierung reorganisiert, die Führungen kultureller Organisationen zugunsten regierungstreuer Personen ausgewechselt. Den kulturellen Institutionen folgen dabei längst weitere: Universitäten, Zeitungen, Medien, Gerichte. Seit dem Nationalsozialismus ist dieses Vorgehen im Deutschen unter dem Begriff „Gleichschaltung“ bekannt. Die ungarische Regierung, wie alle autoritären Regierungen, versucht jegliche Weltversionen abseits ihrer eigenen zu unterdrücken, zu diskreditieren, zu kriminalisieren.
Heutzutage brechen Demokratien selten auf spektakuläre Weise zusammen. Sie werden vielmehr in kleinen, unmerklichen Schritten ausgehöhlt. Institutionen werden wie Gebäude entkernt und ihrer eigentlichen Funktion beraubt, sie bleiben nur noch als Fassade, als Kulisse weiterbestehen. Übrig bleibt – so auch in Ungarn – eine Scheindemokratie.
Bei dem Protest der Studierenden der SZFE geht es also um mehr als um Film und Theater, es geht um die Freiheit von Institutionen, um die Freiheit kritischen Denkens, um die liberale Demokratie. Die Besetzung der Universität erinnert uns daran, wie fragil diese Demokratie ist, und dass wir für sie eintreten müssen – international, innerhalb der Europäischen Union, aber auch hier in Deutschland. In diesem Sinne: Free SZFE!