Im Rahmen meines Schulpraktikums hatte ich die Möglichkeit, bei einer Probe des Schauspielstücks »Wer hat Angst vor Virginia Woolf?« dabei zu sein. Ich hatte vorher schon ein paar Berührungspunkte mit dem Theater, allerdings nur im Bereich Tanz und ein wenig Gesang. Aber eine Probe eines Schauspielstücks habe ich noch nicht miterleben können – vor allem nicht mit einer so kleinen Besetzung. Ich kenne sonst nur große Gruppen der Theaterballettschule. Nach meinem ersten Gedanken, dass ich keinen ordentlichen Probeneindruck schreiben könnte, weil mir einige Abläufe bereits bekannt waren, blieb dann doch viel, das mich überraschen und was ich neu erleben konnte.
Um mitkommen zu können, habe ich mich vor der Probe über das Stück informiert. Darin geht es um eine Ehe an der Grenze des Zersprengens: Martha (Christina Huckle), seit Langem verheiratet mit George (Thomas Wehling), lädt nach einer Akademiker*innen-Party Honey (Carmen Witt) und Nick (Simon Heinle), die jüngst verheiratet sind, ein, sehr zum Ärgernis Georges. Sobald sie aber da sind, werden diese nur Zuschauer*innen des immer perfider werdenden Ehestreits, in dessen Verlauf Abgründe aus dem Leben aller zum Vorschein gebracht werden.
Die geprobte Szene ist an einem Punkt relativ früh am Anfang, an dem Honey und Nick gerade bei Martha und George ankommen.
Der Probenbeginn war direkt etwas verwirrend. Bevor die Probe starten kann, müssen erst alle da sein, und weil ich nicht wusste, wer alle waren, dachte ich, dass es noch ein bisschen dauert bis zum Beginn. Dann hörte ich aber einen Schrei hier und ein Lachen dort und war erst recht verwundert. Doch dann habe auch ich bemerkt, dass die Probe längst begonnen hat. Wobei das auch nicht so klar war, denn bevor es an die richtige Probe mit ganzer Bühnenraumnutzung ging, saßen erst die ganze Besetzung und das Regieteam zusammen auf der Bühne. Von dem, was ich bei der Entfernung und Gesprächslautstärke verstehen konnte, haben sie die zu probende Szene genau besprochen und schon kleine Passagen gespielt. Auch wenn ich von dem Teil nicht allzu viel mitbekommen habe, hat es mich doch erstaunt, wie intensiv sich die Schauspieler*innen mit dem Stück auseinandersetzen und jede Aussage besprechen, jede Bewegung diskutieren. Dann aber doch jede Wiederholung einer Passage unterschiedlich schien und individuell war. Diese Auseinandersetzung mit dem Stück erinnert mich an die Buchanalyse in der Schule, auch wenn ich die Erinnerung daran in den letzten Monaten eher verdrängt habe, weil ich es relativ langweilig fand. Doch die Analyse des Stücks war zwar im Inhalt ähnlich, aber zum Glück, zumindest für mich als Zuschauer, viel spannender während der Probe.
Neben der erstaunlichen Kenntnis des Stücks und der dementsprechend großen Menge an Auswendiggelerntem, fand ich es aber auch beeindruckend, wie laut und deutlich, ohne Pause und ohne heiser zu werden, alle reden können. Ununterbrochen haben alle gesprochen, während es also einen flüssigen Übergang zwischen Gespieltem und Gesagtem gibt, was ich mir als eine schwierige geistige Aufgabe vorstelle. Durch die lockere Stimmung mit dem ein oder anderen Witz hat sich die Probe dann aber, für mich zumindest, auch wie ein nettes, produktives Gespräch zum Stück »Wer hat Angst vor Virginia Woolf?« angefühlt.
Ich weiß nicht, wie lange das Stück in seiner vollen Länge dauert, aber auch wenn es nur 1h30min dauern würde, schien es mir schon dafür wenig finale Spielzeit, die in den doch 3 Stunden Probe geübt wurde. Man konnte aber schon eine klare Änderung im Stück im Vergleich zum Anfang beobachten, was also nur zeigt, wie sehr jede Szene und jeder Dialog perfektioniert werden und dass daraus am Ende ein gutes Stück entsteht, in dem man auch die individuelle Handschrift der Produktion durch eben das ganze eigene Überlegen erkennen kann.
Ich werde mir höchstwahrscheinlich das Stück ansehen, da ich mich frage, wie es weiter umgesetzt wird. Ich kann es auch anderen Leuten nur empfehlen, da es mit der Lockerheit und den Witzen definitiv Spaß macht, aber dann doch ernst genug bleibt und noch ernster wird. Mit den einfach formulierten Texten, sowie einer Geschichte, der man gut hinterherkommt, ist es definitiv auch nicht nur etwas für alte Akademiker*innen wie Martha und George.
Ich bedanke mich bei der Pressereferentin Nadine Brockmann und dem Regisseur Michael Heicks für diese Möglichkeit, bei der Probe zuschauen zu dürfen und diese Eindrücke sammeln zu können.
von Nathanaël Jucquois