Einsam im Scheinwerferlicht

Regisseurin Alice Buddeberg, Musiker Stefan Paul Goetsch, Kostümbildner Clemens Leander und Bühnenbildnerin Sandra Rosenstiel im Gespräch mit Dramaturgin Elisa Hempel

© Philipp Ottendörfer

Elisa Hempel: Gerhart Hauptmann hat Rose Bernd 1903 in wenigen Wochen geschrieben, nachdem er als Geschworener einem Prozess beisaß, der über Schuld oder Unschuld einer Kindsmörderin zu richten hatte. Alice, was hat dich an diesem düsteren Stoff als Regisseurin gereizt?

Alice Buddeberg: Zunächst finde ich es beeindruckend, dass eine starke Frauenfigur im Zentrum steht. Sie ist umgeben von einer merkwürdig ausweglos erscheinenden Welt, deren Mechanismen kaum zu durchschauen sind. Diese zu ergründen, und zu befragen was letztlich zur Katastrophe führt, hat mich sehr interessiert.

Elisa Hempel: In der Inszenierung gibt es sogar zwei starke Frauenfiguren. Rose Bernd erlebt ihre eigene Geschichte als Retrospektive und steht in doppelter Ausführung auf der Bühne.

Alice Buddeberg: Ich hatte die Sehnsucht danach, die Geschichte aus einer weiblichen Perspektive zu erzählen. Die Figur der Rose sollte die Deutungshoheit über ihre Geschichte bekommen. Und so haben wir eine zweite, ältere Rose erfunden, die anhand der szenischen Vorgänge ihre eigene Vergangenheit befragt. Sie sollte nicht einfach das Opfer ihres Schicksals sein, sondern die eigene Geschichte erforschen und bewerten können, sich also bewusst dafür entscheiden sie zu erzählen.

Elisa Hempel: Für diese Erzählweise spielt auch der Ton eine ganz entscheidende Rolle. Die Schauspieler*innen können mit Tonbändern die Musik auf der Bühne selbst steuern. Und so gibt der Ton den szenischen Anlass die Geschichte zu erzählen. Wie kam es zu dieser Idee?

© Philipp Ottendörfer

Stefan Paul Goetsch: Tonbänder sind ja an sich schon Teil der Vergangenheit. Sie werden kaum mehr benutzt und meistens kauft man sie auch schon gebraucht. Immer wenn ich Tonbänder kaufe, ist dort ein Stück Vergangenheit drauf. Außerdem kann man beim Tonband wirklich sehen, wie Zeit vergeht. Man kann sichtbar vor- und zurückspulen. Die Schaupieler*innen machen die gesamte akustische Gestaltung des Abends live auf der Bühne. An das Tonbandgerät sind Effektgeräte angeschlossen, die den Klang des Tonbands verändern können. So sind die Spieler*innen wie eine Band auf der Bühne. Sie kreieren ihren Abend, ihre Erzählung, ihre Welt komplett von innen heraus.

Elisa Hempel: Außer der Figur der Rose lösen sich Hauptmanns Figuren im Laufe der Inszenierung auf. Rose sieht sich schließlich einer morphenden Masse an Gegenspieler*innen ausgesetzt. Was heißt das für das Kostümbild?

Clemens Leander: Bis auf die beiden Roses haben wir uns dazu entschieden, keine konkreten Figuren zu erzählen, sondern versatzstückhaft zu arbeiten. Mich interessiert es beim Kostüm, verschiedene Parameter zu mischen. In diesem Fall war das zum einen die Assoziation einer historischen Dorfgesellschaft, die das Stück ja erst mal vorgibt. Hier habe ich Elemente aus niederländischen Trachten zitiert. Zum anderen habe ich in den Kostümen Zirkuselemente verarbeitet, die sich ja auch schon in der Bühne spiegeln. In der Mischung dieser Parameter habe ich versucht eine »überzeitliche« Ästhetik zu etablieren, also eine Welt, die nicht historisch oder gegenwärtig ist, die im besten Fall etwas über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erzählen kann, ohne unkonkret zu sein.

Elisa Hempel: Wie kamt ihr zu der Zirkusassoziation im Bühnenbild?

Sandra Rosenstiel: Für uns stand von Anfang an die Figur der Rose im Zentrum. Wir haben Rose auf einem Podest verortet, das sie objekthaft ausstellt. So sind wir schnell auf den Zirkus gekommen, als märchhaftes, allegorisches, aber auch konkretes Bild. Hier steht jemand erhöht, in der Mitte eines Raumes, um vor dem Publikum zu zeigen, was er oder sie kann.

© Philipp Ottendörfer

Alice Buddeberg: Obwohl Rose Bernd umgeben von einer Dorfgemeinschaft ist, von Männern, die alle etwas von ihr fordern und über sie bestimmen wollen, ist sie vollkommen alleine. Ich habe mich beim Lesen gefragt, warum sie keine Freundin hat, niemand mit der sie über ihre Konflikte reden kann. Die einzige, die merkt, dass sie schwanger ist, ist die Frau ihrer Affäre. Und das treibt Rose letztendlich nur noch weiter in ihr schlechtes Gewissen, die Scham und die gesellschaftliche Isolation. Sie ist vollkommen einsam, mitten im Scheinwerferlicht.

Sandra Rosenstiel: Auch der Boden des Podests ist aus Glas. So scheint sie nicht mal Halt unter ihren Füßen zu haben. Gesäumt ist das Podest von einem halbrunden Geländer, das das Bild einer Manege aufmacht.

Alice Buddeberg: Damit etablieren wir eine doppelte Öffentlichkeit. Zum einen die, die dem Theater sowieso inhärent ist – also wir als Publikum – und zum anderen die des Dorfes – also die Gesellschaft um Rose herum. Die Vermittlerin zwischen diesen beiden Welten ist die alte Rose, die auf sich selber, auf das eigene Schicksal schaut, und so wieder die Macht über ihre Geschichte bekommt.