What the body does not remember

Simone Sandroni und Eduardo Torroja waren 1987 Gründungsmitglieder der belgischen Kompanie Ultima Vez unter der künstlerischen Leitung von Wim Vandekeybus. Das erste Stück What the body does not remember erlebte weltweit große Aufmerksamkeit und gehört zu den Schlüsselwerken der zeitgenössischen Tanzgeschichte. Für TANZ Bielefeld bot der mehrteilige Abend Coincidance die seltene Möglichkeit, drei der sechs Szenen des Stückes zu erarbeiten. Eduardo Torroja, der die Einstudierung in den letzten Wochen übernommen hat, erinnert sich mit seinem ehemaligen Tänzerkollegen Simone Sandroni an die Entstehungszeit vor fast dreißig Jahren.

E: What the body does not remember war unser erstes »Baby«. Fünf Monate Torrojahaben wir Sandronidaran gearbeitet, sechs Tage die Woche von früh bis spät … Als wir Ultima Vez gegründet haben, waren wir fünf Schauspieler, vier Tänzer und Du. Du warst gerade mal achtzehn Jahre alt.

S: Neunzehn! Immerhin!

E: Ich war 24 und habe ähnlich wie Wim eher spät begonnen, mich mit Tanz auseinanderzusetzen. Die meisten von uns waren technisch nicht sehr gut ausgebildet. Wir waren eher Autodidakten, die viel experimentiert haben. Die Hintergründe waren sehr verschieden: Schauspiel, Tanz, Zirkus – es war eine große Vermischung der Disziplinen ohne gemeinsame Basis am Anfang.

S: Ja, wir sind tatsächlich bei null gestartet. Auch inhaltlich gab es nur vage Ideen.

E: Wir wollten den Tanz nicht zwingend umkrempeln oder die Mode in Frage stellen oder überraschen oder –

S: Wir wollten nicht explizit gegen das Bestehende anrennen –

E: – oder schockieren. Wir wollten einfach arbeiten, uns die Zeit nehmen, verschiedenste Dinge auszuprobieren, uns immer tiefer in die Materie treiben lassen. Wir haben mit Atomen gestartet und nach und nach Moleküle gebildet, bis sich die Essenz des Stückes herauskristallisierte. Viele Ideen wurden auch verworfen. Kurz vor der Premiere ist die siebte Szene rausgeflogen. Da waren wir radikal. Dieses oder jenes gefällt uns nicht? Weg damit, ohne Diskussion!

S: Stimmt, das Feedback, das wir uns gegenseitig gegeben haben, war schon sehr direkt.

E: Jeder hat unglaublich viel Material beigesteuert, das war sehr intensiv. Das, was man dann auf der Bühne sah, war das Ergebnis dieser aufregenden Zeit, runtergebrochen auf sechs Szenen.
WimVandekeybus_WhatTheBodyDoesRemember_TheaterBielefeld
S: Ausgegangen sind wir oft von kleinen Handlungsanweisungen oder Spielen. Wir haben versucht, Strategien, Aktionen und Intentionen für bestimmte Situationen zu finden. Es ging nicht darum, dieses oder jenes zu empfinden, sich in einen Charakter einzufühlen.

E: Wenn ich das Stück mit anderen Tänzern erarbeite, versuche ich immer, sie vom »Tanzparasiten« zu befreien: Okay, nimm Dir einen Stuhl, stell ihn hier hin, aber versuche nicht, dabei hübsch auszusehen. Stell ihn einfach hin. Das Tempo, das Du dafür wählst, die Art, wie Du ihn hinstellst, das macht den theatralen Moment aus. Aber gib dem Ganzen keine besondere Eleganz, lass den Barock weg.

S: Es war wichtig, dass die Dinge, die wir taten, glaubwürdig erschienen. Wir haben ja nicht nach einer speziellen Form gesucht, nach einer ornamentalen Lösung. Es ging darum, die eigene Rolle und Funktion in einem bestimmten Moment zu respektieren. Bist Du gerade der Dominierende oder der Dominierte?

E: So wie in der Szene »frisking«. WimWimVandekeybus_WhatTheBodyDoesRemember_TheaterBielefeld hatte durch seine vielen Touren das Bild der Flugzeugkontrolle im Kopf, wo man sich mit ausgestreckten Armen und Beinen abtasten lassen muss. Aber es gibt unendlich viele Möglichkeiten der Deutung und jede einzelne hat ihre Berechtigung. Das Publikum macht damit, was es will. So ist das ganze Stück letztlich ziemlich abstrakt geworden. Auch in der Zusammenarbeit mit der Musik. Da haben wir keine Schritte gezählt, sondern z. B. Geräusche durch den Körper in Aktion und Reaktion produziert.

S: Ja, es war spannend, dass die Musik parallel zur Choreographie entstanden ist. Thierry de Mey und Peter Vermeersch waren fast die ganze Zeit bei uns in den Proben, haben uns beobachtet und dabei Musik entworfen. Dann sind sie ins Studio gegangen und mit Sounds zurückgekommen. Herausgekommen ist sehr packende Musik. Nicht unbedingt intellektuell, nicht konzeptuell, eher voll Adrenalin.

E: Ja, ihre Band Maximalist! war ein bisschen der Rock’n’Roll der Neuen Musik. Ich weiß noch, dass ich in den Proben immer wollte, dass sie die Lautstärke voll aufdrehen. What the body does not remember war ja auch ziemlich Rock’n’Roll.

WimVandekeybus_WhatTheBodyDoesRemember_TheaterBielefeldS: Das ist es auch heute noch. Und Ultima Vez ist längst eine Kultkompanie.

E: Ja, aber ich bin auch sehr glücklich mit Deiner Kompanie! Die Tänzer haben eine tolle Technik und sind sehr vielseitig ausgebildet. Sie haben schnell verstanden, worum es geht und sie haben wirklich starke Persönlichkeiten.